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Musizieren statt diskutieren
Workshop mit Ursula Heidecker vom "Royal Scottish National Orchestra"

Im sonnendurchfluteten Turmzimmer der Hochschule für Musik und Theater schwebt der Blick weit hinüber zum noch nicht trockengelegten Alsterufer.
14 (erwachsene) Schüler und Schülerinnen lassen sich im Stuhlkreis nieder, unterhalten sich und erwarten neugierig ihre Lektion in Sachen "Musizieren statt diskutieren".
Wie kann ein Orchester einen Ausschnitt seines Repertoires Schulklässlern nahebringen, die keine oder nur wenig Vorerfahrungen mit ernster Musik gesammelt haben, deren Eltern nicht zu den landläufigen Konzertbesuchern zählen und deren schulischer Musikunterricht schon längst auf ein absolutes Minimum gekürzt wurde?


14.00 - 14.10 Uhr: Kurze Einführung

Ursula Heidecker ist seit acht Jahren Geigerin im "Royal Scottish National Orchestra".
Im Auftrag ihres Orchesters arbeitet sie seit einigen Jahren mit Schulklassen landesweit in Schottland, oft auch in den armen Vororten Glasgows und Edinburghs und in Sonderschulen. Die Begeisterung für diese Arbeit und für diese Form der Kooperation zwischen Orchester und Schule ist ihr deutlich anzumerken.
"Education Work" ist für die Orchestermitglieder freiwillig, wird ihnen extra vergütet und bedeutet für sie gelegentlich ein dicht gepacktes Tagespensum - morgens Schule, nachmittags Probe, abends Konzertaufführung.
Das Projekt entwickelte sich in Großbritannien, nachdem der Musikunterricht an britischen Schulen stark zusammengestrichen wurde. Jedes Orchester hat seitdem einen "Education Manager" bzw. "Music Animateur", der mit der Entwicklung der pädagogischen Konzepte für die einzelnen Schulprojekte beauftragt ist und die Zusammenarbeit zwischen Orchester und Schule koordiniert. Daneben wirbt er die Sponsoren und ist somit für das Budget des Projektes verantwortlich.

Ursula Heidecker wird den WorkshopteilnehmerInnen an diesem Nachmittag einen kurzgefaßten praktischen Einblick in ihre kreative Arbeit geben und zwar am Beispiel eines Schulprojektes, das die Geigerin vor einigen Jahren mit Schulklassen über mehrere Wochen durchführte. Auf der Grundlage einfacher Melodien und Sätze aus der Symphonie "Die Planeten" von Gustav Holst werden sie selbständig ein kleines kompaktes Musikstück entwickeln.



14.10 - 14.15 Uhr: Warm - up

Die WorkshopteilnehmerInnen beginnen ihre gemeinsame Arbeit mit einem "Warm up". Im Kreis zählen sie in einem gemeinsamen Rhythmus wiederholt laut bis 8, dann 6, 4, 2, 1, klopfen sich dabei mit beiden Händen auf den Kopf, auf die Schultern, auf die Knie und zuletzt auf die Füße. Nach dem letzten Fußklopfer richten sich alle auf, reißen einen Arm weit nach oben in die Luft und schreien (wild): "YES!!!"...- Das ist noch nicht laut genug und so wird es ein paar mal wiederholt, bis der Raum erbebt. Nach verschiedenen Varianten dieser Grundübung sind alle aufgewärmt, das Eis ist gebrochen, und auch eher schüchterne TeilnehmerInnen sind voll bei der Sache.


14.15 - 14.25 Uhr: Singen einer Melodie/eines wiederkehrenden Themas

Ursula Heidecker verteilt Kopien, auf denen in der Überschrift groß "Sternensong" zu lesen ist. Dieser Song wird ein wiederkehrendes Thema des Musikstückes sein, das entstehen soll.
Auf den Kopien ist zu lesen: "Als Anfang des Projektes, als Übergang zwischen den verschiedenen Stücken und als Schlußgesang nehme ich eine weitere Melodie aus den Planeten, wieder aus dem Planeten "Jupiter"."
Diese Melodie singen alle vom Blatt bzw. über's Gehör, bis es sich harmonisch anhört.


14.25 - 14.30 Uhr: Erfinden eines eigenen Musiktextes

Nun kommt Dichtung ins Spiel: "Kinder können sehr einfach und schnell Worte zu solch eingängigen Melodien finden - auch wir werden das schaffen!"
Solchermaßen ermutigt dichten die WorkshopteilnehmerInnen auf Holst's Jupiter ihren eigenen Sternensong. Nach einigen Verwerfungen einigen sie sich auf folgende Zeilen: "Ich bin der Jupiter/ Ich bin der größte Stern/ Kreise im All umher/ Und leuchte Euch von fern."
Alle singen den selbstgedichteten Sternensong einige Male, bis er sich vertraut anhört.


14.30 - 14.50 Uhr Malen eines Gruppenbildes

Für den nächsten Kurzabschnitt des Projektes bilden sich zwei Gruppen. Beide Gruppen erhalten eine weitere Melodie aus den "Planeten". Diese Grundmelodie charaktierisiert nun "ihren" Stern. Ursula Heidecker legt zwei große weiße Blätter und bunte Ölkreide in die Mitte des Stuhlkreises:
"Wie sieht dieser Stern aus? Welche Wesen leben darauf? Was machen diese Wesen bei Tag und bei Nacht? Was essen und trinken sie?"
Die WorkshopteilnehmerInnen machen sich ihre Gedanken und Vorstellungen und malen ihren Stern mit bunten Ölkreiden: In Pastelltönen, mit Wesen, die Sternenstaub essen, sich zum Schlafen kopfüber an den Schweif des Sterns hängen (um aufzutanken), mit bildnerisch umgesetzten 3/4 - und 6/8 - Motiven...





14.50 - 15.40 Uhr: Entwicklung eines kurzen und kompakten Musikstückes

Solchermaßen über die bildnerische Umsetzung mit beiden Sternen vertraut gemacht, folgt der Hauptteil des Projektes, die musikalische Umsetzung der beiden Sterne.
Die Gruppen verteilen sich auf zwei Räume. Dort sind reichlich Instrumente vorhanden: Metallophone, Trommeln, Rasseln, Glocken, Zimbeln, ein Flexaton, Glockenspiele, Xylophone, Schellen, Tambourine, uvm.
Mit Instrumenten und Gesang werden die beiden Sterne in Musik umgesetzt.
Die WorkshopteilnehmerInnen entwickeln musikalische Elemente, beispielsweise für Tag, Nacht und Dämmerung. Die Melodie wird gesummt, es wird nur mit Vokalen gesungen - i und e für den Tag, a und o für die Nacht. Dazu werden Instrumente klangfärbend eingesetzt. Die Grundmelodie wird auf einem Glockenspiel gespielt und von einer Teilnehmerin gesungen. Die zweite Gruppe arbeitet viel mit rhythmischen Elementen.
Es entstehen zwei kurze kompakte Stücke.


15.40 - 15.50 Uhr: Vorspiel des selbst erarbeiteten Stückes

Am Ende des Workshops spielen sich die Gruppen gegenseitig ihre Sternenmusik vor, wobei vor und nach jedem Stück der zuvor erlernte Sternensong gesungen wird. Das ist eine spannende Sache, denn beide Gruppen haben sehr unterschiedliche Musikstücke erfunden. Freundliche Rückmeldungen werden abgegeben.
Als Abschluss hören die TeilnehmerInnen eine CD – Aufnahme aus den Planeten mit den Ausschnitten der Sätze, deren Melodie sie „geliehen“ hatten, um zu sehen, wie Gustav Holst diese Musik gestaltet hat.


15.50 - 16.00 Uhr: Abschließende Gesprächsrunde

Ursula Heidecker entwickelt in den Schulen gemeinsam mit den Gruppen das Musikstück über einen Zeitraum von ca. fünf Wochen. Für jeweils 2 Stunden pro Woche arbeitet sie mit den Gruppen. Arbeitsgrundlage bildet ein Satz oder eine Melodie aus einem geeigneten Musikstück aus dem aktuellen Orchesterprogramm. Zuvor gibt es auch einen "Teacher Training Day" als Vorbereitung für die Lehrer, die mit den Kindern mit der Arbeit beginnen und die Stücke regelmäßig üben. Während des kreativen Prozesses werden die Stücke dann gemeinsam mit den Musikern ausgebaut, ausgefeilt und anschließend zu einem Ganzen zusammengefügt. Normalerweise arbeiten zwei Musiker mit jeder Klasse.
Nach intensiven gemeinsamen Proben besuchen die Schüler und Schülerinnen das "Royal Scottish National Orchestra" und tragen ihre Version des Musikstücks im Foyer der Konzerthalle vor dem Beginn des Konzertes den anderen Schulgruppen und dem Publikum vor.
Die älteren Kinder und Teenager besuchen die Abendvorstellung. Für die jüngeren wird ein Sonderkonzert veranstaltet, in dem Phasen des Musikstückes vom Orchester vorgespielt werden. Die Kinder erleben einen großen Moment: Sie hören zum ersten Mal das Musikstück, mit dem sie sich durch ihr eigenes Musizieren schon vertraut gemacht haben, gespielt von einem vollbesetzten Orchester. Und zwischen den Orchestermusikern entdecken sie auch einige Gesichter, die sie schon kennen...


Herzenswünsche der WorkshopteilnehmerInnen:

1. Dieser britische Projektansatz sollte auch in Deutschland realisiert werden.
2. Bereits während des Musikstudiums sollte den InstrumentalpädagogInnen der Bezug zur Pädagogik und zur Schule nicht verloren gehen - und eine Abkehr von der Leistungsschau hin zur "Sache an sich" stattfinden.
3. Kultur sollte nicht ausschließlich als Hochkultur verstanden, sondern als breites Spektrum allen Kindern vermittelt werden, die auf diese Weise ihren eigenen Ausdruck finden können und Wege eröffnet bekommen in ihren oft schwierigen Lebenssituationen.

Protokollführerin: Barbara Seithe

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