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„Von der Schulaula in die große Musikhalle und zurück“
Konzerte für Kinder - eine Zukunftsaufgabe für die Kulturpolitik im Land Hamburg?

1. Referat von Wolfhagen Sobirey, Präsident des Landesmusikrates Hamburg und Vorstandmitglied der LAG Kinder- und Jugendkultur

Sobirey fragt, ob sich die Kulturpolitik von der Kunst trenne.
Er führt dazu beispielhaft einige Äußerungen des Berliner Finanzministers Sarazzin an, der behauptet, sinkende Zuschüsse seien nicht mit weniger Kultur gleichzusetzen. Vielmehr könne dieser die Sache ganz wertneutral sehen, denn egal ob sich Politik mehr Bildung, mehr Straßen oder mehr Kultur leisten wolle, Hauptsache am Ende stehe ein ausgeglichener Haushalt.
Der Referent verdeutlicht den Stellenwert öffentlicher Kulturförderung:
Mit Hilfe dieser können Einrichtungen ein breites, qualitatives Repartoir erwerben und vermitteln, Vielfalt garantieren, Kultur sichern, allgemeine Zugangsmöglichkeiten verbessern und Raum für Neues geben. Die Kulturstätten können so um die Gunst des Publikums buhlen, ohne jedoch gewinnorientiert arbeiten zu müssen. Aber selbstverständlich könne die Politik entscheiden, welche Leistungen sie haben wolle und ob der verlangte Preis dafür adäquat sei.
Sobirey führt ein Zitat von Gerald Mertens, dem Geschäftsführer der Orchestervereinigung an. Dieser sagt: „Die Bedrohung der Institution Orchester in den letzten 10 Jahren rührt nicht aus einer echten Sinnkrise her, sondern allein aus der immer schmaleren Finanzierungsbasis der öffentlichen Haushalte.“ Der Referent stellt die Richtigkeit dieser Aussage in Frage und macht darauf aufmerksam, dass es sehr wohl auch Aufgabe der Orchester und Opernhäuser sei, sich um ihr Publikum und um ihre Akzeptanz zu kümmern. Gerade weil sich in den Stadträten immer mehr die Sparfraktion durchsetze, sei Eigenengagemant gefragt. Orchester und Opernhäuser haben ohne Zweifel Nachfrage- und Vermittlungsprobleme. Die Gründe dafür liegen in einem generellen Traditionsbruch. So identifizieren sich über 90% der Deutschen mit Popularmusik und kommerzieller Musik. Die Musik von Staatopern und Philharmonikern hingegen wurzele nicht mehr in der Mitte der Gesellschaft.
Wie kann das geändert werden?
Es brauche eine öffentliche Diskussion, wobei Kunst wieder mehr ins Gespräch gebracht werden müsse. Aus diesem Grund habe der Landesmusikrat Hamburg ein -Hamburger Bündnis für Musikunterricht- ins Leben gerufen. Es solle dazu beitragen, den öffentlichen Diskurs zu intensivieren. Sobirey fordert mehr Öffnung der staatlich geförderten Kulturinstitutionen für Schulen, Familien, Kinder und Jugendlichen - schon aus vitalem Eigeninteressen heraus. Es brauche wesentlich mehr Opern- und Konzertpädagogik bzw. Musikvermittlung in den Kultureinrichtungen selbst.
Durch die wachsende Popularmusik habe sich das Bewusstsein der Kinder und Jugendlichen in Bezug auf musikalische Traditionen stark verändert. Die Opern- und Orchestermusik müsse daher verstärkt identitätsstiftend vermittelt werden, so das es zu einem emotionalen Kontakt kommen könne und Kinder aus ihrer Welt heraus Anknüpfungspunkte zur Musik finden.
E-Musik und Kulturpolitik sollten endlich den Siegeszug der Popularmusik zur Kenntnis nehmen und sich produktiv mit ihr auseinandersetzen. Beide Musikrichtungen sollten voneinander profitieren. Gute Popularmusik könne ein Jungbrunnen für die E-Musik sein, denn die traditionelle Musikpraxis habe ein Kreativitätsproblem, da zu viel reproduziert statt produziert werde.
Er fordert weiter mehr Musikunterricht in Schulen. Bis zu 80% des Unterrichts fallen deutschlandweit aus. Daraus resultiere, dass immer weniger dieses Fach in der Oberstufe des Gymnasiums wählen und dementsprechend studieren. Der Nachwuchs fehle. Demgegenüber ist jedoch festzustellen, dass sich fast alle Kinder und Jugendlichen mit Musik beschäftigen, diese also eine dominanten Rolle im täglich Leben spiele.
Sobirey betont, wie notwendig die Vermittlung ästhetischer Bildung aus entwicklungsphysiologischer Sicht sei und wie stark Kinder, vor allem in den ersten Lebensjahren, dafür sensibilisiert sind. Es brauche also nicht nur vermehrte Aufmerksamkeit in Schulen, sondern vor allem in Kindertagesstätten und Kinderhäusern.
Er sieht die zukünftige Aufgabe für Kunstschaffende darin, mit den vorhandenen Mitteln innovativ zu arbeiten und sich für neue Ideen zu öffnen, z.B. „Staatsoper ganz anders, Führungen für Kinder und Jugendliche“.

Trotz aller Differenzen, herrsche über folgende Punkte Einigkeit:

1. Kinder und Jugendliche verlieren den Draht zur musikalischen Kunst (Oper, synphonische Musik). Damit verliere ihn die gesamte Gesellschaft.
2. Kinder und Jugendliche sollen diese Musik als Bereicherung ihres Lebens erfahren, nur dann können sie später die Rolle eines kulturellen Verantwortungsträgers übernehmen.
3. Staatlich geförderte Kulturinstitutionen müssen sich intensiver als bisher für Familien, Kindergärten und Schulen öffnen.
4. Kinder und Jugendliche sollen die Kostbarkeiten dieser Welt kennen lernen, aber es müsse darauf geachtet werden, was sie selbst in Sachen Musik ausprobieren und initiiren wollen.

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„Von der Schulaula in die große Musikhalle und zurück“
Konzerte für Kinder - eine Zukunftsaufgabe für die Kulturpolitik im Land Hamburg?


2. Vortrag von Prof. Barbara Stiller
, Uni Bremen

Video-Einspielung I: LINK UP-Programm der Carnegie Hall New York
Der Videoausschnitt zeigt ein Konzert mit Beethovens 9. Sinfonie, das Dannis Russell Davies für New Yorker Schülerinnen und Schüler in der Carnegie Hall dirigiert. Beeindruckend ist der große Enthusiasmus, mit dem die Kinder und Jugendlichen die „Ode an die Freude“ zusammen mit dem Orchester der New Yorker Philharmoniker singen.


Der Vortrag richtet sich an alle, denen Konzerte für Kinder nach der Devise „Kinder sind das Publikum von heute und für dieses brauchen wir gute Konzerte“ am Herzen liegen. Marketingstrategische Aspekte frei nach dem Motto „Konzerte für Kinder sind notwendig, denn Kinder sind das Publikum und die Kundschaft von morgen“ sind in der kulturpolitischen Diskussion grundsätzlich nicht zu verachten, an dieser Stelle soll sich die Konzentration aber auf rein inhaltliche Aspekte konzentrieren.

Der Vortrag ist in vier Abschnitte gegliedert:
- Es soll grundsätzlich begonnen werden unter der Fragestellung, was sich „auf dem deutschen Markt“ momentan unter dem Begriff „Konzerte für Kinder“ subsummiert.
- Verbunden mit der Frage, warum heutzutage so vielen Menschen ein Zugang zu live vermittelter Musik im Konzert fehlt, folgt ein kleiner Rückblick auf die historische Entwicklung des Konzertlebens für Kinder.
- Weiter werden Kriterien aufzeigt, anhand derer ein Konzert für Kinder konzipiert sein sollte, damit sich das junge Publikum auch wahrhaftig angesprochen fühlt (wahrhaftig im Sinne von positiv berührt und innerlich bewegt).
- Schlussendlich soll versucht werden, einige daraus entwickelte Konsequenzen für die zukünftige Ausbildungssituation an Musikhochschulen zu formulieren.

Vorab noch drei kurze Bemerkungen:
- Wenn im Verlauf des Vortrages global und umfassend von Musik gesprochen wird, ist damit die sog. Ernste Musik, also das musisch-kulturelles Erbe und die gesamte zeitgenössische Kunstmusik gemeint. Es ist nicht die Rede von eigens für Kinder komponierter „Kindermusik“, die sich um mangelnde Nachfrage keine Sorgen zu machen braucht.

- Wenn allgemein von Musikvermittlung gesprochen wird, ist damit alle live vermittelte Musik gemeint, und die gesamte medial vermittelte Musik (die sich ohnehin ausreichend von selbst vermittelt) bleibt ausgeklammert.

- Der Begriff Musikvermittlung ist in letzter Zeit nahezu inflationär zu einem Modewort mutiert, das mittlerweile zurecht kritisiert wird. Es drängt sich der Eindruck auf, man versucht sich damit ins Gespräch zu bringen und etwas „irgendwie besonders Lebendiges im Gegensatz zu etwas pädagogisch, lehrerhaft, Verstaubtem“ ausdrücken zu wollen. An anderer Stelle wird von Konzertpädagogik geredet, insofern werden im folgenden beide Begriffe in loser Abfolge verwendet.

Konzerte für Kinder – Versuch einer Definition
Konzerte für Kinder sind:
- Konzerte, die von professionellen Ensembles, und damit auch nahezu allen deutschen Berufsorchestern für Kinder und deren Familien gespielt werden. Sie finden in den großen Konzerthäusern in der Regel am Wochenende mit 1 – 6 Programmen pro Spielzeit statt.
- Konzerte in Schulen, Kindergärten, Jugendzentren u.ä., die von professionellen Ensembles dort veranstaltet werden, wo sich das junge Publikum ohnehin gerade aufhält
- Konzerte, in denen professionelle MusikerInnen in Zusammenarbeit mit Kindern auftreten, die im Vorfeld der Veranstaltung gemeinsam etwas einstudiert haben (Kinder führen zur Musik des Orchesters etwas auf). Diese Veranstaltungen finden meistens als sog. Schulkonzerte statt.
- Konzerte, die von Kammermusikensembles, Jugendorchestern und in Zukunft hoffentlich auch einmal von Hochschulorchestern für Kinder veranstaltet werden und für deren konzeptionelle Ideen die Ensemblemitglieder selber verantwortlich sind.
- Veranstaltungen, die mitunter einem recht emanzipierten Konzertbegriff unterliegen. Sie sind oftmals workshopartig angelegt und können über weite Strecken eher zum eigenen Ausprobieren und Experimentieren als zum reinen Zuhören anregen.
- laut meiner Vorstellung keine Veranstaltungen, in denen die Generalprobe eines Sinfoniekonzertes während eines Werktages ohne weitere Vermittlungsangebote an Schulklassen als Konzert für Kinder und Schüler verkauft wird.
- laut meiner Vorstellung keine Veranstaltungen in Form eines normalen Sinfoniekonzertes, in denen junge virtuose Hochleistungskinder Solokonzerte mit einem Berufsorchester aufführen.


Konzerte für Kinder – historische Aspekte – gegenwärtige Situation
Die historische Entwicklung des Konzertlebens für Kinder gestaltet sich weltweit recht übersichtlich und ist schnell erzählt. Interessant erscheinen dabei die unterschiedlichen Motivationsgründe, aus denen man ab Mitte des 19. Jahrhunderts begann, Veranstaltungen explizit für Kinder durchzuführen.

„Children cannot be admitted“ hieß es in einer Londoner Konzertankündigung von 1789. 1858 (und damit erst 70 Jahre später) fand in Cincinnati das erste dokumentierte Jugendkonzert statt, das laut Ankündigung dem nachlassenden Interesse jugendlicher Hörerinnen und Hörer am klassischen Repertoire der Orchester entgegenwirken sollte (und man denkt immer, die Jammertiraden, den Orchestern bliebe das Publikum aus, seien recht neu ...).
In Deutschland wurde das erste Volksschülerkonzert 1899 von Richard Barth in Hamburg veranstaltet. Es war von dem reformpädagogischen Gedanken getragen, „die Kinderherzen und –gemüter für gute Musik zu erschließen, sie daran zu gewöhnen und abzuwenden von ordinären Musik-Genüssen und Tingetangeleien“.
Gleichzeitig fanden die ersten „Kindernachmittage“ in Form einer Mischung aus Lesung, Chorgesang, Tanz und Instrumentalspiel im Wiener Konzerthaus statt.
1920 wurden in Wien erstmalig moderierte Klavierrecitals mit dem Titel „Musik für die Jugend“ als angewandte Übe-Anregungen zum eigenen Klavierspielen angeboten.
In den USA veranstaltete der Deutsche Walter Damrosch die ersten Konzerte für Kinder während der 20er Jahre in New York.
Der deutsche industrielle Robert Mayer wurde in Groß Britannien zum Urvater der Kinderkonzerte. 1923 fand angelehnt an amerikanische Methoden das erste Konzert der Reihe „Robert Mayer’s Children’s concerts“ statt.
Hierzulande lag während der Kriegszeiten alles brach, und die ersten Konzerte für Kinder fanden erst wieder während der frühen 60er Jahre in Leipzig und Dresden statt. Allgemein kann die DDR in den vierzig Jahren ihres Bestehens auf eine riesig ausgeprägte Kinderkonzerttradition zurückblicken. Dort war es selbstverständlich, dass Schulkinder regelmäßig in Konzerte gingen und Orchester in die Schulen kamen. Eine Umfrage, die ich 1998 bei allen deutschen Berufsorchestern durchgeführt habe, verriet, dass die großen renommierten Ostorchester bis zu 240 Konzerte für Kinder pro Saison gespielt haben.

Federführend geprägt wurde das Konzertleben für Kinder weltweit von Leonard Bernstein. Von 1958 bis 1972 erarbeitete er mit dem New York Philharmonic Orchestra 53 verschiedene Programme für Menschen von 8 bis 18. Sie standen unter dem Motto „Young people’s concerts“.

Heutzutage sieht die Situation in Deutschland so aus, dass fast alle der ca. 120 deutschen Berufsorchester mehr oder weniger regelmäßig Konzerte für Kinder veranstalten. Dazu zählen aber auch die oben erwähnten Antibeispiele wie öffentliche Generalproben und Sinfoniekonzerte mit solistischen Bundespreisträgern von „Jugend musiziert“. Einige der Orchester differenzieren zwischen Familien- und Schulkonzerten, andere gehen auch mit kleineren Ensembles in Schulen oder veranstalten Tage der offenen Tür zum Ausprobieren von Instrumenten. Für die Programmauswahl sind in der Regel der Dirigent und/oder ein Dramaturg zuständig. Die Orchestermitglieder selber sind in den seltensten Fällen mit eigenen Ideen und gestalterischen Umsetzungsvorschlägen aktiv in konzeptionelle Planungen einbezogen. An diversen Konzerthäusern findet mit sturer Regelmäßigkeit ein reines Rotationsprinzip der „Top Five“ der Weltliteratur an Kinderkonzertprogrammen statt (Peter und der Wolf, Young person’s guide to the orchestra, Karneval der Tiere, Die Zauberflöte für Kinder, Eine musikalische Schlittenfahrt sowie Hensel und Gretel in der Vorweihnachtszeit).


Woran liegt es, dass so vielen Menschen heutzutage der Zugang zum klassischen Konzert fehlt?
Viele Menschen, fast egal welchen Alters, sind mit einem Konzertbesuch im traditionellen Sinne sichtlich überfordert. Sowohl Kindern als auch Erwachsenen mangelt es an geeigneten Wahrnehmungsstrategien und den „Machern“ der Konzerte an den entsprechenden Vermittlungskompetenzen, und damit an den geeigneten Methoden, um ihr Publikum von Anfang an richtig zu „packen“ . Kurz, dem Publikum fehlt ein Grundrepertoire an musikalischer Bildung, welches die erforderliche Neugier auslöst, um zunächst überhaupt erst einmal ins Konzert gehen zu wollen. Die Konsequenz für alle, denen es ein Bedürfnis ist, Menschen wieder zum Besuch von Konzerten zu motivieren, ist die, dass wir uns viel grundsätzlichere, elementarere und intensivere Gedanken über die entsprechenden Methoden der Konzertvermittlung machen müssen. Diese Tatsache beruht auf folgenden Faktoren:
- Grundlegende Veränderungen im Musikleben sind allseits bekannt: es wird nicht mehr gesungen, alles ist in zigfacher Ausführung per CD verfügbar, Musikunterricht in den allgemein bildenden Schulen wird zunehmend zur Mangelware, aber überall unterwegs hört man aus jedem Lautsprecher Musik. Das Live-Konzert und damit das Live-Erlebnis rückt zunehmend in den Hintergrund, denn jeder besitzt zu Hause fast selbstverständlich eine umfassende CD-Sammlung (ein Phänomen, das auch bei Musikstudierenden zunehmend zu beobachten ist).
- Im heutigen Erfahrungswissen der Kinder sind Muster der klassischen und romantischen Musik wenig präsent, denn auch die Eltern dieser Kinder hören diese Art von Musik nicht mehr oder nur noch selten.
- In den allgemein bildenden Schulen wird bundesweit ein eklatanter Mangel an Musikunterricht beklagt. Der Besuch von Konzerten findet im Rahmen des Musikunterrichtes nur selten und wenn, dann durch freiwilliges Engagement der Lehrkräfte statt, es fehlen die praxisorientierten und im Unterricht bereits vorbereitenden Vermittlungsmethoden.
- Oftmals beschränkt sich das Kinderkonzert-Repertoire auf die bereits erwähnten Top Five der Weltliteratur, was auch die engagiertesten gestandenen Lehrkräfte auch nicht über Jahre und Jahrzehnte ausreichend motiviert.
- Die strukturelle Seite von Musik wird in den Schulen noch immer stark überbewertet. Analysieren steht oftmals vor dem eigenen Tun, das Formale vor dem fassbar Figuralen, es mangelt also an anthropologisch-lebendigen Anknüpfungspunkten und das in der Schule erworbene deklarative Faktenwissen über die Musik ersetzt den großen Mangel an prozeduralem Handlungswissen im eigenen Umgang mit der Musik keineswegs.
- Der Instrumental- und Vokalunterricht an den Musikschulen fällt oftmals recht einseitig aus (sozusagen mit dem Zeigefinger der Lehrkraft entlang der Notenzeile). Auch in diesem außerschulischen Bereich bleibt ein allgemein musisch-kultureller Bildungsauftrag auf der Strecke (u.a. weil angehende Musikschullehrkräfte für diese angrenzenden Bereiche fachdidaktisch nicht ausgebildet werden).
- Musikvermittlung findet an verschiedenen Orten statt, sie hat viele Formen und Facetten, die gegenüber gestellt werden müssen in Schule, Musikschule, Konzert und Hochschule sowie all den Institutionen und Ministerien, an denen Kultur- und Bildungspolitik gemacht wird
- Auch die Ausbildung an den Musikhochschulen erscheint gelegentlich noch immer recht gegenwartsfern. Präsentationsformen spielen oftmals keine besondere Rolle, ästhetische Allgemeinbildungsfragen haben wenig bis keinen Platz, und kunstspartenübergreifend im Sinne von interdisziplinär wird viel zu selten gearbeitet.

Kriterien zur Konzeption eines Konzertes für Kinder
Hauptaufgabe ist es, Treff- und Berührungspunkte zwischen dem Publikum und den Beteiligten auf der Bühne zu finden. Viele Faktoren können diese Treffpunkte hervorrufen und die erforderlichen Anknüpfungsmöglichkeiten auditiver, visueller, motorischer und allgemein sensorischer Art schaffen. Das pädagogische Stichwort „Lebensweltbezug“ sollte dabei aber nicht aktionistisch zu Ungunsten eines konzentrierten Zuhörens missbraucht werden.

Videoeinspielung M. Mead: Monique Mead, eine in Deutschland lebende amerikanische Geigerin, hat in NRW einen Verein „Klassik for Kids“ gegründet. Sie geht in die Kindergärten und veranstaltet Workshops mit Stücken, die später im Konzertsaal gezeigt werden. In die Konzerte werden mehrere Elemente integriert: Es wird immer ein junger Solist vorgestellt, damit die Kinder im Publikum sehen, dass es auch Musiker in ihrem Alter gibt, die Spaß an der Klassik haben. Zudem wird ein jeweils aktuelles Thema in die Konzerte eingebunden, z.B. Inlineskating oder Fußball. So wird eine Brücke zur Musik gebaut und ihre Aufmerksamkeit verbessert.

Grundsätzlich geht es um die Gestaltung von Räumen zur Schaffung von Atmosphäre und besonderen Hörsituationen. Diese fördern die Bereitschaft, sich dem Geschehen zu öffnen, zu folgen und aktiv mitzumachen, u.a. durch:

Besondere Rahmenbedingungen innerhalb und außerhalb des Konzertsaales
- Musiker im Foyer
- Bilder im Foyer
- Pantomimen im Foyer
- Maskenbildner im Foyer
- Düfte beim Betreten des Saales (Blüten, Parfum o.ä.)
- Instrumentenbauer im Foyer / während der Pause
- eine besondere Gestaltung des Konzertsaales (Umbau zu einer Manege, einem Raumschiff, etc.)
- das Auslegen von Kissen, Umbau der Bestuhlung etc.

Anfangssituationen zur Eröffnung eines Konzertes
- Musiker spielen bereits, wenn sich die Saaltüren für das Publikum öffnen.
- Das Konzert beginnt mit Musik, nicht durch eine erklärende Moderation.
- Das Ensemble betritt spielend als Polonaise den Saal und zieht auf die Bühne.
- Aus Lautsprecherboxen hört man schon vor Beginn des Konzertes Moderationsfetzen aus dem Off.
- Bereits das Einstimmen der Instrumente wird zelebriert und in die Moderation einbezogen.
- Auch im Dialog mit dem Publikum kann ein Konzert beginnen, wenn der Moderator unbesehen von hinten in den Saal kommt und direkt mit den Kindern in Kontakt tritt.

Visuelle Elemente im Konzert
Visuelle Eindrücke können ein intensiveres Konzerterlebnis fördern, grundsätzlich gilt: Kinder verlangen in der Regel nach visuellen Hilfen. Diese können folgendermaßen gestaltet sein:
- Von Kindern gemalte Konzertplakate
- Von Kindern im Vorfeld gemalte Bilder, die im Foyer ausgestellt werden
- Von Kindern im Vorfeld gemalte Bilder, die während des Konzertes auf eine Leinwand projiziert werden
- Bilder die programmmusikalischen Szenen entsprechen
- Bausteine und Statuen zur Demonstration musikalischer Formverläufe
- Kurze Filme und Videos, die zur live gespielten Musik ablaufen
- Kostüme und Dekorationen aus bestimmten Stilepochen unterstützen so etwas wie ein historisches Zeitgefühl, das in der Regel bei Kindern noch nicht besonders ausgeprägt ist
- Grafische Partituren, auch für Improvisationen mit dem Publikum

Musik und Bewegung im Konzert
- Musikalische Formen werden auf der Bühne in Bewegung umgesetzt, ggf. auch mit Hilfe von Material
- Die Musikerinnen und Musiker agieren auf der Bühne pantomimisch mit deutlich theatralischen Bewegungen
- Puppen- oder Schattentheater wird zur Musik aufgeführt
- Kinder führen zur Musik eine im Vorfeld einstudierte Szene oder einen Tanz auf

Videoeinspielung der Musikhochschule Detmold: Joseph Haydn – ein Komponistenporträt: Kinder stehen zwischen dem Hochschulorchester, hören die Musik aus der Perspektive der Spielenden und begleiten das Orchester mit rhythmischen Body-Percussion-Patterns. Ein Musikstück Joseph Haydns wird einmal langweilig und einmal mit Akzentuierung gespielt, um zu verdeutlichen, wie unterschiedlich ein und das selbe Stück live gespielt und interpretiert werden kann. Eine Tanzgruppe hat eine Szene mit Chiffontüchern gestaltet, die sie zur Musik aufführt.

Aktive Einbeziehung des Publikums
- Lieder oder melodische Bausteine werden mit dem Publikum geübt und gesungen.
- Orff-Instrumente werden verteilt und in Mitspielstücken zum Einsatz gebracht.
- Auch Schlüsselbunde und ähnliches dienen bei Fermaten als Geräusch- und Effektinstrumente.
- Mit Armgesten vollzieht das Publikum musikalische Bögen und Strukturen zur Musik.
- Ostinate Rhythmen werden allein oder in Kombination mit der Musik zu einer kleinen Gestaltung zusammen gefügt.
- Im Rahmen der Handlung wird das Publikum zum Rätseln und Suchen eines Gegenstandes aufgefordert.

Videoeinspielung „WOLANU das Wolkenschiff“: Ein Ensemble von Lehrkräften des Hamburger Konservatoriums, die alle im Elementarbereich tätig sind und ihr Instrument unterrichten. Das Projekt entstand aus der Idee heraus, einmal für die eigenen Schüler und Schülerinnen außerhalb des regulären Unterrichts zu spielen.

Die Moderation
Die Funktionen und Aufgaben eines Moderators oder einer Moderatorin sind äußerst vielfältig und dienen allgemein dem Schaffen von Beziehungen zwischen Saal und Bühne.
- Er / sie begrüßt das Publikum und vermittelt damit oftmals den entscheidenden Einstieg in das gesamte Geschehen.
- Sie / er weist auf die Besonderheiten der Musik hin.
- Er animiert das Publikum zum aktiven Mitmachen.
- Er kann als Schauspieler oder Protagonist in einer bestimmten Rolle auftreten.
- Sie interviewt die Musiker und Musikerinnen auf der Bühne und fragt möglicherweise auch nach außermusikalischen Begebenheiten aus ihrem alltäglichen Leben.
- Er schafft Quer-Verbindungen zwischen dem auditiven und visuellen Geschehen auf der Bühne.
- Sie sorgt innerhalb des Konzertsaales für Orts-, Aktions- und Aktivitätswechsel.
- Er vermittelt ständig (möglicherweise auch nonverbal) zwischen Publikum, Orchester, Dirigent, szenischen Mitgestaltern etc..
- Auch Kinder können ausführende Musiker, Protagonisten und Moderatoren in einer Person sein


Musikvermittlung in der Hochschulausbildung
Das Kompetenzprofil und Anforderungsprofil an einen gestandenen Musikvermittler oder eine Musikvermittlerin erscheint nahezu grenzenlos. Einige Berufserfahrung in musikpädagogischen und / oder künstlerisch-praktischen Bereichen ist sicherlich von Nöten, wenn man sich selbst auf der Bühne dem Thema Musik- und Konzertvermittlung widmen möchte. Insofern kann es sich in der ersten Phase einer Ausbildung an einer Musikhochschule zunächst nur um Basiskompetenzen handeln, die den individuellen Vorlieben und Schwerpunkten der Studierenden anzupassen sind. Die Interessenslage seitens der Studierenden kann hinsichtlich der vielfältigen Arbeitsfelder für einen Musikvermittler sehr unterschiedlich ausfallen. Eine Moderationstätigkeit im Live-Konzert muss dabei keinesfalls im Mittelpunkt stehen.

An der Musikhochschule Detmold gibt es (einzigartig im deutschsprachigen Raum) seit nunmehr vier Jahren einen Weiterbildunslehrgang „Musikvermittlung & Konzertpädagogik“ als Pilotstudiengang. Er findet phasenweise statt und richtet sich an alle, die ein Musikstudium, gleich welcher Art, absolviert haben. Eine ausführliche Beschreibung des Studienangebotes findet man auf der Homepage der Musikhochschule Detmold.

Schlussbemerkung
Abschließend kann man zusammenfassend sagen, dass sich alle, egal ob als Orchestermitglieder, Musikpädagoginnen oder Kulturmanager auf neue Ideen und Projekte einlassen müssen, um dem Publikum neue Herangehensweisen an live vermittelte Musik im Konzert zu ermöglichen. Die Anforderungen an alle, die sich dieser Herausforderung stellen möchten sind dabei nahezu unendlich. Folgendes Zitat, das dem Buch „Passagen. Kreuz- und Quergänge durch die Moderne“ von Peter Rautmann und Nico Schalz entnommen ist, bringt die aktuelle Situation noch einmal schönsprachig auf den Punkt:

„Auf der Suche nach dem [vermittelnd] Künstlerischen müssen sie
- freisetzen, was da heraus will
- das Material neu durchdringen
- wissen, dass Suchen wichtiger als Finden ist
- sich in das Abenteuer des Ungesicherten begeben
- bereit sein für das Überraschende, das Ungewöhnliche
- eine Welt des im Realen Undenkbaren entwerfen können
- verbindliche Inhalte und tradierte Darstellungsmethoden in Frage stellen und auflösen
- ausleuchten, aushöhlen, ausbohren, beleuchten, beatmen, abtasten: das Unvertraute wecken, das Vertraute entfremden
- das Vergnügen der Dinge, verrückt zu werden, teilen ...“



Weiterführende Literatur:
Barbara Stiller, Constanze Wimmer und Ernst Klaus Schneider: „Spielräume Musikvermittlung – Konzerte für Kinder entwickeln, gestalten, erleben“; hrsg. für die Jeunesses Msuicales Deutschland, Con Brio, Regensburg, 2002

Peter Rautmann und Nicolas Schalz: „Passagen – Kreuz- und Quergänge durch die Moderne“, Con Brio, Regensburg, 1998


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