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Jugendkultur

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„Liegen die Themen immer auf der Straße?“ Perspektiven für ein Jugendtheater heute
Was ist ein Jugendtheater? Spiegelbild einer Generation oder Authentizität in der Kunst?
... mit Henning Fangauf (Kinder- und Jugendtheaterzentrum Frankfurt/Main)

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde aller WorkshopteilnehmerInnen, beginnt Henning Fangauf mit einer Vorstellung des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in Frankfurt/Main. Diese Einrichtung des Bundes beschäftigt sich unter anderem mit der Aus- und Weiterbildung von Aktiven im Bereich der Kinder- und Jugendtheaterszene, fördert Autoren guter Stücke, organisiert Gastspiele, Festivals (wie beispielsweise das alle zwei Jahre stattfindende Deutsche Kinder- und Jugendtheatertreffen - dieses Jahr in Berlin vom 03. - 08.05.03), unterstützt den Austausch in diesem Fachgebiet und fördert eine Europäische Zusammenarbeit, indem beispielsweise Stücke übersetzt werden. Gleichzeitig dient das Kinder- und Jugendtheaterzentrum als Informations- und Dokumentationsstelle, in der auf ein umfangreiches Repertoire relevanter Stücke zugegriffen werden kann. Weitere und aktuelle Informationen können unter www.kjtz.de abgefragt werden.
Henning Fangauf skizziert den gegenwärtigen Stand der allgemeinen Diskussion, in welcher der Begriff &Mac226;Jugendtheater’ sehr heterogene Definitionen umfasst. Das Kinder- und Jugendtheaterzentrum gibt beispielsweise einen überaus erfolgreichen und stark nachgefragten Jugendtheaterführer (bereits in der 3. Auflage und auch im Abo erhältlich) als Loseblattsammlung heraus. Eine eindeutige und zufriedenstellende Definition von Jugendtheater gibt es jedoch nicht. &Mac226;Was ist Jugendtheater eigentlich?’ ist daher eine zu beantwortende Frage mit großer Aktualität. Grundsätzlich ist zwischen Theater für Kinder und Jugendliche und Theater von Kindern und Jugendlichen zu unterscheiden.

Henning Fangauf stellt die These zur Debatte, dass im Jugendtheater die Jugendlichen nicht nur als Problemjugendliche gesehen werden sollten, und illustriert dies mit Beispielen einiger Jugendtheaterprojekte. In der Praxis läuft es immer wieder darauf hinaus, dass es lediglich zur 1:1-Darstellung von jugendspezifischen Problematiken und Problemphasen kommt (bspw. Aids, Drogen, Beziehung Jugendliche - Eltern, Jugendliche - Schule usw.). Natürlich ist die Behandlung solcher Themen, die den Bedürfnissen der Jugendlichen entgegenkommen und den Zeitgeist mit schnellen Szenen, musikalischer Flottheit und Alltagssprache sehr gut treffen, wichtig und gut. Aber nur allein mit der Recherche der sozialen Gegebenheiten und der Aufnahme von Themen die auf der Straße liegen, werden wir dem künstlerischen Anspruch nach Ausdruck der Komplexität des Lebens nicht gerecht. Die Phase der Jugend wäre damit auch zu sehr zu einer Problemphase verkürzt.

Im Kinder- und Jugendtheaterzentrum kommt es häufig zu der typischen Situation, dass LehrerInnen für Darstellendes Spiel anrufen und nach Stücken fragen, die relevante Alltagsthemen behandeln und auch jugendliche Rollen beinhalten und deshalb ihrer Meinung nach, Jugendliche besonders tangieren würden. Andererseits gibt es Situationen, in denen Jugendliche selbst das Beratungsangebot nutzen und Thematiken erfragen, welche sie etwa irgendwo schon einmal bei Kafka oder Hesse nachgelesen haben und welche sich mit unter anderem mit allgemeinen Fragen der Menschheit befassen. Henning Fangauf empfiehlt daher, bei der Beratung und Entscheidungsfindung zu einem Stück, erst einmal genau hinzuhören was die Gruppe will, ohne sofort auf typische Alltagsthemen zurückzugreifen.

Die verschiedenen Beiträge in der sich anschließenden offenen Diskussion, könnte man zusammengefasst wie folgt wiedergeben:

In Theaterproduktionen für Kinder und Jugendliche, ist es oft eine Gratwanderung, von der Bühne Unruhe zuzulassen. Oft empfinden Lehrer in aufkommender Unruhe, dass zu wenig geboten wird, bzw. die Bühnen unterdrücken mögliche Unruhe im Theater, indem sie lauter und bunter werden und „Kasperkram“ anbieten. Herrscht in der Aufführung eines Stückes Ruhe und durchgehende Aufmerksamkeit und wird am Ende groß applaudiert, wird nur dies zu oft als positiv für den Erfolg gewertet. Unruhe muss auch positiv gesehen werden und eine Kultur der Unruhe sollte eher gepflegt werden, da sie ein durchaus kreatives Moment hat. Entstehende Unruhe ist oft auch ein Argument für die Durchführung von reinen Vorstellungen für Jugendliche („Ghettovorstellungen“). Es wäre aber viel besser, wenn ganz normal auch Erwachsene mit im Theater sitzen würden und sich eine gewisse Vielschichtigkeit durchsetzen könnte.

Ein potentieller Konflikt beim Theater für Kinder und Jugendliche, besteht in der Tatsache, dass LehrerInnen oft das einzige Bindeglied zwischen Theaterschaffenden und Kindern und Jugendlichen sind. Dies äußert sich zum Beispiel in der Werbung für Jugendtheaterproduktionen, die sich vorrangig an LehrerInnen richtet und sich nicht an die Kinder und Jugendlichen direkt wendet. Es werden Problematiken und Alltagsthemen, die LehrerInnen aus ihrer Sicht behandelt sehen wollen, in den Beschreibungen der Stücke als Stichworte hervorgehoben. Oft existiert bei LehrerInnen auch eine große Skepsis gegenüber anspruchsvoll anmutenden Theaterproduktionen, die dann leider häufig zu schnell als unzumutbar eingeschätzt werden.
Der Auswertung eines Theaterbesuches, wird eine zentrale Bedeutung eingeräumt. Die Praxis ist hier von Oberflächlichkeiten nur so gespickt. Es sollte schon genau hingehört und näher nachgefragt werden, wenn Kinder und Jugendliche sich nach einem Theaterbesuch äußern.
Es wird aber auch ermutigend festgestellt, dass es heute in der Praxis viel leichter ist, mit Jugendlichen direkt ins Gespräch zu kommen.

„Wir brauchen Geschichten in jeder Form, wie täglich Brot“, war eine sinngemäße Aussage von Kindern und Jugendlichen, als sie gefragt wurden, ob sie überhaupt Theater bräuchten. Ihnen ist es tatsächlich sehr wichtig, dass die Präsenz der Schauspieler auf der Bühne da ist. Genauso brauchen Kinder und Jugendliche aber Möglichkeiten zur Abgrenzung von starken Themen. Es fehlen außerdem Möglichkeiten, dass sich Jugendliche prozesshaft in Theater einbringen können und sich selbst inszenieren können. Es wurde ergänzt, dass sich der Trend in Hamburg in den letzten Jahren aber etwas gewandelt hat. Jugendliche nehmen vermehrt Möglichkeiten wahr, ihre eigenen Geschichten zu theatralisieren. Dafür gibt es in letzter Zeit gute Beispiele. Weiterhin ist auf diesem Gebiet außerdem eine gewisse Professionalisierung zu beobachten, z.B. das erfolgreiche multilaterale „Chat“-Projekt auf Kampnagel, wo sich Jugendliche auch selbst als Professionelle sehen und auch darstellen.

Um das Rezipientenverhalten von Kindern und Jugendlichen, positiv zu beeinflussen und allgemein zu verbessern, muss viel eher ein anderer Zugang vermittelt werden. Anstatt wie in der Schule gleich Texte zu lernen, sollte es vorher ausreichend Möglichkeiten zum Zuhören geben. Danach sollte im Vordergrund stehen, Kindern und Jugendlichen ein Gefühl für die eigene Bühnenpräsenz nahe zu bringen, um Hürden zu überwinden und deren eigene Wahrnehmung zu sensibilisieren (z.B. Wirkung von Geräuschen, Bewegungsgeschwindigkeit).
Am Beispiel der berufsvorbereitenden Maßnahmen für „gescheiterte“ Jugendliche, in denen verschiedene künstlerische Ausdrucksformen vermittelt werden, wird auf die Wichtigkeit eines ressourcenorientierten Ansatzes hingewiesen. „Was könnt ihr?“ und „Was wollt ihr?“ sollten dabei wichtige Fragen sein. Natürlich kommt es dabei immer darauf an, die Jugendlichen wirklich ernst zu nehmen. Dem wird hinzugefügt, dass wir unsere eigenen Vorstellungen von großem Theater, den Jugendlichen gegenüber erst einmal zurückstellen sollten und selber noch lernen müssen, was die Jugend im Augenblick bewegt. Dazu wird darauf hingewiesen, dass es nicht darum gehen kann, nur die Sprache der Jugendlichen zu übernehmen, sondern es muss auch der Anspruch erhoben werden, den Jugendlichen aus unserer Sicht etwas mitzugeben.
Henning Fangauf erwähnt in diesem Zusammenhang das oft zitierte „man soll sie dort abholen, wo sie stehen“ und empfindet dies grundsätzlich zwar als ehrenwert und gut. Jedoch gehört zum Theater einfach dazu, dass bestimmte Grundregeln eingehalten werden und man der Sache nicht einfach freien Lauf lassen kann. Dem wird bekräftigend hinzugefügt, dass professionelles Jugendtheater nicht nur leisten soll, Jugendliche irgendwo abzuholen, sondern auch in der Lage sein sollte, etwas zu vermitteln und die Welt der Jugendlichen zu erweitern. Auch in Anknüpfung an die Podiumsdiskussion am Freitag, wird zusammenfassend als Forderung formuliert, dass eine gewisse Lebenskompetenz die aus Theater entstehen kann, sowohl in Bildungspolitik als auch in Jugendpolitik größere Beachtung finden muss.
Man sollte sich viel mehr bewusst machen, welche hervorragenden Möglichkeiten Theater hinsichtlich der Entwicklung von wichtigen Grundkompetenzen zu bieten hat. Die weit verbreitete und in der Runde kritisierte 1:1-Abbildung des problematischen Alltags im Jugendtheater, sollte mit dem Einsatz wirklicher künstlerischer Mittel abgelöst oder zumindest erweitert werden. Dafür müssen Bedingungen geschaffen werden, wie etwa die Veränderung der Gewichtung an vorhandenen Institutionen. Schließlich existieren auch Musikschulen, in denen Kinder die Möglichkeit haben in Begleitung eines Mentors, über Jahre hinweg, ein Instrument spielen zu lernen. Auf dem Gebiet des Schauspiels sind derartige gute Bedingungen nicht so verbreitet. Leider fehlt es auch an der nötigen Akzeptanz von Jugendtheater, was sich auch im gegenwärtigen Umfang der finanziellen Förderung wiederspiegelt. Es darf aber nicht sein, dass der Bereich Kinder- und Jugendtheater aufgrund finanzieller Entscheidungen wegbricht. Eine stärkere Gewichtung des Kinder- und Jugendtheaters innerhalb der Kinder- und Jugendkultur wird für notwendig erachtet. Eine entsprechende Infrastruktur muss zur Verfügung stehen und ein Selbstverständnis und Selbstbewusstsein etabliert werden! Auch ist man sich darüber einig, dass die Aura des Theaters als außerschulischer Lernort erhalten bleiben muss.

Ein Schwerpunkt dieser geforderten Infrastruktur liegt in der Förderung von Professionellen, die Theaterproduktionen sowohl mit, als auch für Kinder und Jugendliche schaffen. Es geht dabei nicht nur um die gute Ausbildung, sondern schließlich auch um die Einstellung professioneller Akteure. Sich im Theaterprojekt auszuprobieren, Fehler und Irrtümer zuzulassen („Theater ist die unreine Kunst“) und darüber soziale Fähigkeiten zu erlangen, bedarf eben einer kompetenten Betreuung und Begleitung. Jugendtheater wird immer mehr auf eine professionelle Ebene gehoben werden, in der die Qualität durch Evaluation festgestellt werden wird, sowie Abschlüssen eine größere Bedeutung bekommen werden.
In Deutschland und Hamburg gibt es in Bezug auf die Ausbildung (z.B. Theaterpädagogik) einige gute Ansätze, insgesamt passiert in dieser Richtung aber zu wenig. Vielmehr ist immer öfter zu beobachten, dass Professionelle zu Verkäufern mutieren. In diesem Zusammenhang wird die Existenz der Sparte erwähnt, die mit aufklärerischem, emanzipatorischem und sozialpädagogischem Kinder- und Jugendtheater, große Säle beglückt und auf Profit ausgerichtet ist. Freie Gruppen stehen da auch unter einem gewissen Zwang, bestimmte nachgefragte Themen zu bedienen. Große Stadttheater müssen sich nicht unbedingt auf solche Kompromisse einlassen, da sie anders abgesichert sind.

Protokoll: Remo Küchler


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